Die Rolle von Insulin bei Übergewicht
Auf Social media sieht man fast täglich, wie immer wieder Anhänger der Low-Carb Bewegungen mit Verfechtern von Low-fat Ernährungsweisen aneinandergeraten. Häufig geht es bei den Diskussionen darum, wie Übergewicht entsteht und womit man am schnellsten Körperfett reduzieren kann. Als eine mögliche Ursache für die Zunahme des Körperfetts, wird häufig Insulin genannt – ein Hormon, welches für den Kohlenhydratstoffwechsel verantwortlich ist.
Übergewicht nimmt weiter zu
Weltweit sehen wir seit Jahrzehnten, dass die Menschen immer dicker werden. In vielen westlichen Ländern sind bereits über die Hälfte der Bevölkerung als Übergewichtig eingestuft (BMI>25). Forscher, Fitnesstrainer und Laien versuchen seit Jahrzehnten mittels diverser Ernährungstrends dieser Entwicklung den Riegel vorzuschieben – bislang vergebens. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich aber ein Aspekt in vielen dieser Trenddiäten immer wiederholt: Kohlenhydrate werden verantwortlich für das Voranschreiten von Übergewicht gemacht. Und nicht nur Kohlenhydrate oder Zucker per se, sondern Das Hormon, was für deren Verwertung im Körper zuständig ist: Insulin.
Die Wirkung von Insulin
Insulin ist ein Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird. Es hat essenzielle Funktionen im Stoffwechsel und ohne Insulin könnten wir nicht überleben. Die bekannteste Aufgabe von Insulin ist es, den Blutzuckerspiegel zu reduzieren. Daneben gibt es aber noch weitere Effekte. Der Grund weshalb einige Bodybuilder (wahrscheinlich umsonst) gerne auf Insulinspritzen als leistungssteigerndes Mittel setzen [2] ist simpel: Insulin ist ein anaboles Hormon, d.h. es fördert aufbauende Prozesse im Körper. Denn das Hormon fördert nicht nur die Einlagerung von Glukose in die Zellen und den Abbau zu Energie (ATP), sondern greift auch wesentlich in den Protein- und Fettstoffwechsel ein [3]:
- Insulin fördert die Bildung von Glykogen und hemmt den Abbau von Glykogen
- Insulin hemmt die Glukoneogenese und fördert den Abbau von Glukose
- Insulin fördert die Aufnahme von Aminosäuren in die Zellen
- Insulin steigert die Proteinbiosynthese und hemmt den Abbau von Proteinen
- Insulin erhöht die Aufnahme von Fettsäuren in die Zellen
- Insulin steigert die Bildung von Depotfett (Triglyceride)
- Insulin hemmt den Abbau von Triglyceriden und von Fettsäuren
Insulin erhöht also pauschal erst einmal Prozesse, die Reserven aufbauen oder größere Speichermoleküle bilden und hemmt Prozesse, die dazu führen, dass diese großen Moleküle abgebaut werden.
Insbesondere die Wirkung auf die Fette hat allerdings dazu geführt, dass Insulin den Spitznamen „Dickmacher Hormon“ bekommen hat. Und im Laufe der Jahre hat sich eine neue „Theorie“ im Kreise von Keto-Verfechtern etabliert: Das „Carbohydrate-insulin model of obesity“.
Carbohydrate insulin model of obesity
Dieses Modell widerspricht unserer gängigen Theorie der Energiebilanz. Die allgemein anerkannte und belegte Theorie der Energiebilanz [4,5] basiert auf einfachen physikalischen Gesetzen der Thermodynamik: Wenn wir einem System mehr Energie zuführen als es benötigt, muss die Energie entweder entweichen oder gespeichert werden. Die Energie kann nicht einfach verschwinden. Wir sind dieses System. Essen wir mehr als wir benötigen, müssen wir die Energie in Form von Bewegung oder Wärme abgeben oder wir speichern die Energie in Form von Körperfett.
Gemäß der alternativen Hypothese des CIM ist aber vor allem das Hormon Insulin schuld an unserem Übergewicht. Wie erwähnt wird Insulin produziert, wenn der Blutzuckerspiegel zu hoch ist, also z.B. nach Kohlenhydratkonsum. Insulin hat dabei aber verschiedene Aufgaben. Zum einen fördert Insulin die Zuckeraufnahme in die Zellen. Zusätzlich fördert Insulin aber auch die Aufnahme von Fettsäuren in die Fettzellen, den Aufbau von Triglyceriden (Körperfett) und hemmt gleichzeitig den Fettabbau (Lipolyse). Hier setzt das CIM an:
Ein hoher Kohlenhydrat-Konsum führt zur Ausschüttung von Insulin. Insulin fördert die Einlagerung von Glukose und Fettsäuren in den Fettzellen, wodurch neues Körperfett gebildet wird. Der weitere Effekt von Insulin ist aber auch die Reduktion des Abbaus der Fette. Es wird also vermutet, dass gleichzeitig der Austritt der Fettsäuren und der Zuckermoleküle aus den Fettzellen verhindert wird. Die Folge wäre eine Reduktion von Glukose und Fettsäuren im Blutkreislauf. Andere Körperzellen könnten diese Reduktion von Fettsäuren und Zucker im Blut als „relativen Energiemangel“ (auch als semi-starvation bezeichnet) wahrnehmen. Denn die Energie ist zwar da, allerdings in den Fettzellen eingesperrt, sodass andere Zellen davon nicht profitieren können. Als Reaktion löst der Körper nun Hungersignale aus und reduziert gleichzeitig unseren Energieverbrauch. Wir beginnen daraufhin mehr zu essen und es kommt zum Kalorienüberschuss [6].
Noch einmal kurz der Unterschied:
Die Theorie der Kalorienbilanz besagt, dass wir zu viel Energie aufnehmen und deshalb mehr Körperfett in den Fettzellen gespeichert wird.
Die Kohlenhydrat-Insulin Hypothese (CIM) besagt, dass Energie durch Insulin im Körperfett eingesperrt wird und wir darauf hin mehr essen, weil unsere restlichen Körperzellen zu wenig Energie bekommen.
Während die klassische Theorie also davon ausgeht, dass eine übermäßige Fetteinlagerung die Folge von einem Kalorienüberschuss ist, besagt das CIM, dass der Kalorienüberschuss eine Folge der übermäßigen Fetteinlagerung ist.
Aber ist das nicht Erbsenzählerei? Welche Relevanz hat das Ganze überhaupt? Die Relevanz besteht darin, dass durch diese Hypothese ein wichtiger Makronährstoff und zahlreiche gesundheitsförderliche Lebensmittel aus der Ernährung gestrichen werden müssten, wenn wir abnehmen wollen. Denn wenn diese Hypothese korrekt wäre, könnten wir nicht abnehmen, wenn wir Kohlenhydrate konsumieren. Ernährungsempfehlungen weltweit müssten angepasst werden, um dem massiven Anstieg an Fettleibigkeit entgegenzuwirken. Unsere Ernährungsweise und unsere Lebensmittelproduktion müssten sich radikal ändern, was weitreichende wirtschaftliche, umweltbezogene und gesundheitliche Folgen mit sich bringen würde. Anhänger des carbohydrate insulin model of obesity sind zusätzlich medial oft stark repräsentiert und können somit Millionen von Menschen rund um die Uhr beeinflussen. Viele neue Diättrends bauen auf der Hypothese auf. Das Problem ist nur: Die Hypothese ist falsch. Warum das so ist, schauen wir uns jetzt genau an.
Widerlegt - Insulin ist nicht das Problem
In der Wissenschaft gehen wir unter anderem nach zwei Grundprinzipien vor: eine Behauptung muss mehrfach bestätigt werden, damit sie als Fakt angenommen wird. Gleichzeitig gilt eine Hypothese oder ein ehemaliger „Fakt“ auch als widerlegt, wenn die Behauptung mehrmals wissenschaftlicher Überprüfung nicht standhalten konnte. Und genau so gehen wir jetzt vor. Wir schauen uns an, ob Kohlenhydrate und Insulin tatsächlich die Treiber der Übergewichtsproblematik sind, ob und wie sie daran beteiligt sind und ob das CIM oder das reguläre Modell der Kalorienbilanz die Realität abdeckt.
- Anstieg der Übergewichts Epidemie
Wir springen wieder zurück ins Jahr 1980. Die Übergewichtsrate stieg trotz nationaler Fetteinschränkung stark an. Gleichzeitig wurden mehr Kohlenhydrate konsumiert. Die Kohlenhydrate und Insulin mussten also schuld sein, oder? In Folge der großen Low-Carb Bewegungen bemühten sich viele Menschen Zucker und Kohlenhydraten zu reduzieren. Die Reduktion müsste in der Theorie also auch einen Rückgang von Übergewicht nach sich ziehen wenn Insulin der Treiber für Übergewicht ist. Wir sehen das Gegenteil. Der Trend setzte sich weiter fort – trotz Reduktion von Kohlenhydraten und Zucker. Und der Trend steigt immernoch [7,8].
In Abbildung 4 sehen wir deutlich, dass um das Jahr 2000 ein Rückgang von Kohlenhydrat- und Zuckerkonsum stattfand, der Trend für Übergewicht aber weiter zunahm. In anderen Studien sehen wir dasselbe Ergebnis: Als „Australian paradox“ wurde ein Phänomen bekannt, welches beschreibt, dass trotz einer 16%igen Zuckerreduktion, eine enorme Gewichtszunahme in Australien registriert wurde (Abbildung 4) [10]. Dasselbe Phänomen trat zwischen 1980 und 2006 auch in Großbritannien auf. Trotz Reduktion des Zuckerkonsums stieg das Übergewicht in der Bevölkerung stark an.
Wieso kommt es zu diesen Ergebnissen? Der Grund liegt darin, dass weder Fett, noch Zucker, noch Kohlenhydrate generell für die Fettzunahme verantwortlich sind. In den Jahren seit Ancel Keys‘ Forschung und der 7-country study stieg der Kalorienkonsum ganz einfach sehr stark an und gleichzeitig sank auch der Energieverbrauch aufgrund eines veränderten Lebensstils. Dieses Phänomen ist auch im sogenannten „American paradox“ zusammengefasst [11]: Ein überproportionaler Rückgang des Energieverbrauchs führte zwischen 1976 und 1991 zu einem Anstieg an Übergewicht, trotz reduzierter Kalorienaufnahme. Wir wissen heute sicher – durch eine Vielzahl sehr gut durchgeführter Studien – dass es keinen Unterschied macht, ob wir Fett oder Kohlenhydrate zu uns nehmen, solange die Energiebilanz gleichbleibt.
2. Kohlenhydrate und Insulin führen zu Übergewicht?
Wenn auch nur einer der beiden Stoffgruppen – Kohlenhydrate oder Zucker – für Übergewicht verantwortlich wäre, wären ca. 70 % der Erdbevölkerung übergewichtig. Und zwar jene in Entwicklungsländern. Hier ernährt man sich nämlich primär von Kohlenhydratquellen wie Reis und Mais (teilweise bis zu 80% der Energie kommt aus Kohlenhydraten). Wenn KH oder Insulin per se zu Übergewicht führen würden, hätten wir in diesen Ländern eine andere BMI-Verteilung als wir sie momentan sehen.
Wenn wir die Situation unter dem Gesichtspunkt der CIM sehen, tun sich also schon ein paar Fragezeichen auf. Prinzipiell würde die Energie gemäß des CIM im Fettspeicher der Menschen landen und infolgedessen würden sie sich aufgrund des Energiemangels im restlichen Körper weniger bewegen und würden mehr Hunger haben und mehr essen. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Menschen in Entwicklungsländern aufgrund der Lebensumstände aber einfach nicht mehr zu Essen haben und sich gezwungenermaßen mehr bewegen müssen und so der Energieverbrauch steigt. Da in den letzten Jahrzehnten (zumindest bis zur Corona Pandemie) die weltweite Unterernährung stark zurück ging, kann davon ausgegangen werden, dass beim Großteil dieser Menschen kein direktes Problem der Nahrungsverfügbarkeit besteht.
3. Insulin inhibiert den Fettabbau?
Wir haben bereits gesehen, dass eine Funktion von Insulin die Inhibierung des Fettabbaus ist. Doch jeder der sich einigermaßen mit biochemischen Grundprinzipien auskennt wird schnell ein elementares Problem feststellen: Im Körper herrscht immer ein Wechselspiel aus Auf- und Abbau. Das bedeutet letztlich nur, dass alle Aufbauprozesse und alle Abbauprozesse immer gleichzeitig stattfinden. Am Ende ist nur entscheidend, mit welcher Rate Auf- und Abbau ablaufen und welcher Prozess überwiegt. Der Stoffwechsel ist ähnelt also weniger einem Lichtschalter, der nur „an“ und „aus“ kennt, sondern eher einem Dimmer, der Zwischenstufen der beiden Extreme zulässt.
Bezogen auf das Fettgewebe heißt das, dass Insulin nicht in der Lage ist, den Fettabbau auf Null zu stellen. Es „inhibiert“ also nicht wirklich den Fettabbau, sondern reduziert nur die Rate, mit der Fett abgebaut wird. Gleichzeitig wird die Geschwindigkeit des Fettaufbaus erhöht [12]. Und das ist auch gut so, denn aufgrund der Tatsache, dass wir alle immer einen Grundspiegel an Insulin im Blut haben, wäre es fatal, wenn Insulin den Fettabbau komplett auf Null setzen würde. Wir wären dann nämlich nie in der Lage Fett abzubauen, selbst wenn keine Nahrung aufgenommen werden würde. Dieser natürlich vorhandene Grundspiegel an Insulin zeigt uns also schon, dass es sehr wohl möglich ist, in Anwesenheit von Insulin Fett abzubauen.
4. Die Rolle der Pharmabranche
Das Carbohydrate insulin model of obesity geht davon aus, dass Insulin die Fettsäuren und Zucker in den Fettzellen einsperrt und nicht mehr ausreichend in den restlichen Körper lässt. Diese Behauptung wird komplett entkräftigt, wenn man sich die Wirkung mancher Medikamente ansieht.
Für Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas wird u.a. das Medikament Liraglutid eingesetzt. Liraglutid hilft dabei das Körperfett zu reduzieren, die Insulinsensitivität der Zellen zu verbessern und das Sättigungsgefühl zu stimulieren. Ein Effekt von Liraglutid ist aber auch die Erhöhung des Insulinspiegels.
Liraglutid ist strukturell dem Darmhormon und Inkretin GLP-1 sehr ähnlich. Inkretine wie GLP-1 erhöhen nach der Ausschüttung den Insulinspiegel im Blut. Genau dasselbe macht auch Liraglutid. Dieses Medikament, welches stark übergewichtige Personen und Menschen mit Insulinresistenz einnehmen, erhöht den Insulinspiegel in unserem Körper. Trotz des erhöhten Insulinspiegels sind die Menschen nicht nur in der Lage abzunehmen, sondern sie erfahren auch ein besseres Sättigungsgefühl. Somit widerlegt eines der wirkungsvollsten Medikamente auf dem Markt gleich zwei Behauptungen dieser Hypothese [13].
5. Proteine erhöhen den Insulinspiegel
Die eben angesprochenen Inkretine (GLP-1 und GIP – 2 Hormone die im Darm gebildet werden) haben eine Insulinausschüttung zur Folge. GLP-1 und GIP werden vor allem beim Konsum von bestimmten Aminosäuren, also nach Proteinkonsum, in den Darmzellen produziert und ausgeschüttet.
Wir sehen daher sowohl in Tierstudien als auch in Humanstudien, dass proteinreiche Nahrung einen äußerst hohen Insulinanstieg nach sich ziehen kann [14]. Die Abbildung zeigt das Verhältnis der Insulinmenge zur Glukosemenge nach dem Konsum verschiedener Lebensmittel (alle bzgl. der Menge genormt auf 1000 KJ, also grob 239 kcal) [15]. Tierische, proteinreiche Lebensmittel zeigen hier den höchsten Wert, da sie einerseits natürlich nur geringe Mengen Kohlenhydrate aufweisen, auf der anderen Seite durch deren Konsum aber hohe Mengen Insulin ausgeschüttet werden.
Weshalb könnte das ein relevanter Punkt gegen das Insulin Argument sein? Wir wissen, dass die wirkungsvollsten Diäten einen hohen Proteinanteil haben. Das liegt daran, dass Protein sehr sättigend wirkt [16,17,18], einen hohen Energieverbrauch zur Folge hat [19] und gleichzeitig die Muskulatur in einer Diät besonders gut schützen kann [20]. Und im direkten Vergleich haben die Ernährungsformen mit hohem Proteingehalt in der Regel bessere Ergebnisse bzgl. des Fettabbaus als Ernährungsweisen mit geringer Proteinmenge [21]. Und das obwohl die hohen Proteinmengen regelmäßig eine hohe Insulinausschüttung nach sich ziehen.
6. Fettzellen als Gefängnis
Wenn wir uns an eine der Grundannahmen des CIM erinnern, fällt uns ein, dass behauptet wird, durch den hohen Insulinspiegel würde den Körperzellen Energie fehlen, da Insulin die Energie in den Fettzellen einsperrt. Hierfür gibt es tatsächlich keine Belege. Im Gegenteil.
Nehmen wir an die Aussage stimmt. Dann haben Übergewichtige mehr Körperfett, weil Insulin die Fettsäuren und Glukose in den Fettzellen einsperrt. In diesen Personen sollten wir also auch weniger Zucker (Blutzuckerspiegel) und Fettsäuren im Blut finden als bei Normalgewichtigen. Wir sehen aber genau das Gegenteil. Bei Adipösen Personen und auch bei Menschen mit Diabetes und somit Insulinresistenz und hohen Insulinwerten sehen wir eine erhöhte Freisetzung von Fettsäuren aus den Fettzellen und einen höheren Blutzuckerspiegel und mehr Fettsäuren im Blut [22]. Das wäre schon genug, um diesen vermeintlichen Wirkmechanismus zu widerlegen. Doch auch hier kann die Pharmabranche noch einen drauflegen.
Das Medikament Acipimox wirkt in einer Funktion ähnlich wie Insulin: es hemmt den Abbau des Körperfetts [23]. Es wird vor allem von Personen mit Fettstoffwechselstörungen eingenommen. Personen die Acipimox einnehmen, weisen also auch weniger freie Fettsäuren im Körper auf, da weniger Körperfett aus den Fettzellen abgebaut wird. Das würde genau der sogenannten „semi starvation“ entsprechen, die das CIM propagiert – also ein Fehlen von Energiesubstraten im Körperkreislauf. Als Folge müssten Personen verstärkt zu Hunger neigen und den Energieverbrauch reduzieren. Auch hiervon ist in der Literatur nichts zu finden. Patienten mit dem Medikament nehmen tendenziell eher Gewicht ab [24].
7. Der direkte Vergleich
Der einfachste Weg zu überprüfen, ob Kohlenhydrate und Insulin wirklich schuld an Übergewicht sind ist ganz einfach. In einer Studie werden Personen in zwei Gruppen eingeteilt. Das Kaloriendefizit ist gleich groß. Die Proteinzufuhr ist gleichgroß. Aber eine Gruppe isst mehr Kohlenhydrate und die andere mehr Fett. Wenn das carbohydrate cnsulin model of obesity stimmt, nimmt die Gruppe mit weniger Kohlenhydraten mehr Gewicht ab.
Solche Studien gibt es mittlerweile zuhauf und alle zeigen einheitlich, dass es keinen Unterschied macht [25]. Die Kalorienbilanz ist der entscheidende Faktor [26]. Das Ganze lässt sich sogar ins Extreme treiben. Wenn eine Gruppe 43% der zugeführten Energie aus reinem Zucker bekommt und die andere Gruppe nur 4%, nehmen trotzdem beide Gruppen gleich viel Gewicht ab und auch die Blutwerte verbessern sich in beiden Gruppen gleichermaßen gut [27]. Die Verbesserung der Blutwerte kommt nämlich bei jeder Diät mit Gewichtsreduktion in erster Linie von der Reduktion des Körperfetts.
Fazit
Das carbohydrate insulin model of obesity gilt als widerlegt. Es kann wissenschaftlichen Überprüfungen in vielerlei Hinsicht nicht standhalten. Insulin wird wohl trotzdem weiter als Grund für Übergewicht dargestellt werden. Warum? Womöglich deshalb, weil es einfach ist. Mechanistische Vorgänge wie bei Insulin lassen sich gut vermarkten und sind einfach zu verstehen. “Insulin macht fett, also vermeide Insulinausschüttung“. Die Fitnessszene benötigt mehr qualifizierte und informierte Menschen wie dich. Es ist wichtig komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen, allerdings sollten sie nicht wie in diesem Fall so stark vereinfacht, dass daraus Fehlinformationen entstehen.
Was kannst du mitnehmen?
Jede Diät funktioniert nach demselben Prinzip: Ein Kaloriendefizit ist notwendig, um das Gewicht zu reduzieren. Es ist zum Glück nicht notwendig auf Kohlenhydrate zu verzichten. Das ist nur ratsam, wenn jemand keine Probleme damit hat, Kohlenhydrate aus der Ernährung zu streichen. Die wenigsten Personen halten das langfristig jedoch durch. Wenn du (mit Kohlenhydraten) abnehmen möchtest, beachte folgende Punkte:
- Bestimme dein Kaloriendefizit (~ -300-500 kcal/d)
- Bestimme deinen Proteinkonsum (~ >2 g/kg Körpergewicht)
- Verteile den Proteingehalt konstant über den Tag
- Trainiere regelmäßig, um die Muskulatur zu erhalten
- Priorisiere Schlaf und Stressreduktion
- Iss viel Gemüse für wichtige Nährstoffe und eine lange Sättigung
Literaturverzeichnis
[1] Keys, Ancel, et al. „Epidemiological studies related to coronary heart disease: characteristics of men aged 40-59 in seven countries.“ (1966): 1-392.
[2]https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-08-2003/pharm1-08-2003/
[3] Chantzichristos, Dimitrios, Björn Eliasson, and Gudmundur Johannsson. „MANAGEMENT OF ENDOCRINE DISEASE Disease burden and treatment challenges in patients with both Addison’s disease and type 1 diabetes mellitus.“ European journal of endocrinology 183.1 (2020): R1-R11.
[4] Hall, Kevin D., et al. „Calorie for calorie, dietary fat restriction results in more body fat loss than carbohydrate restriction in people with obesity.“ Cell metabolism 22.3 (2015): 427-436
[5]https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-08-2003/pharm1-08-2003/
[6]https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-08-2003/pharm1-08-2003/
[7] NCD Risk Factor Collaboration. „Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19· 2 million
[8]https://www.ncdrisc.org/obesity-prevalence-map.html
[9]http://wholehealthsource.blogspot.com/2015/11/carbohydrate-sugar-and-obesity-in.html
[10] Barclay, Alan W., and Jennie Brand-Miller. „The Australian paradox: a substantial decline in sugars intake over the same timeframe that overweight and obesity have increased.“ Nutrients 3.4 (2011): 491-504.
[11] Heini, Adrian F., and Roland L. Weinsier. „Divergent trends in obesity and fat intake patterns: the American paradox.“ The American journal of medicine 102.3 (1997): 259-264.
[12] Holm, Cecilia. „Molecular mechanisms regulating hormone-sensitive lipase and lipolysis.“ (2003): 1120-1124
[13] Pi-Sunyer, Xavier, et al. „A randomized, controlled trial of 3.0 mg of liraglutide in weight management.“ New England Journal of Medicine 373.1 (2015): 11-22.
[14] Nuttall, Frank Q., et al. „Effect of protein ingestion on the glucose and insulin response to a standardized oral glucose load.“ Diabetes care 7.5 (1984): 465-470
[15] Holt, S. H., J. C. Miller, and Peter Petocz. „An insulin index of foods: the insulin demand generated by 1000-kJ portions of common foods.“ The American journal of clinical nutrition 66.5 (1997): 1264-1276.
[16] Roberts J, Zinchenko A, Mahbubani K, Johnstone J, Smith L, Merzbach V, Blacutt M, Banderas O, Villasenor L, Vårvik FT, Henselmans M. Satiating Effect of High Protein Diets on Resistance-Trained Subjects in Energy Deficit. Nutrients. 2018 Dec 28;11(1):56. doi: 10.3390/nu11010056. Erratum in: Nutrients. 2019 Jul 08;11(7): PMID: 30597865; PMCID: PMC6356668.
[17] Kim JE, O‘Connor LE, Sands LP, Slebodnik MB, Campbell WW. Effects of dietary protein intake on body composition changes after weight loss in older adults: a systematic review and meta-analysis. Nutr Rev. 2016 Mar;74(3):210-24. doi: 10.1093/nutrit/nuv065. Epub 2016 Feb 16. PMID: 26883880; PMCID: PMC4892287.
[18] Westerterp-Plantenga MS, Lemmens SG, Westerterp KR. Dietary protein – its role in satiety, energetics, weight loss and health. Br J Nutr. 2012 Aug;108 Suppl 2:S105-12. doi: 10.1017/S0007114512002589. PMID: 23107521.
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[20] Mettler, Samuel, Nigel Mitchell, and Kevin D. Tipton. „Increased protein intake reduces lean body mass loss during weight loss in athletes.“ Med Sci Sports Exerc 42.2 (2010): 326-37.
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[22] Mittendorfer, Bettina, et al. „Relationship between body fat mass and free fatty acid kinetics in men and women.“ Obesity 17.10 (2009): 1872-1877
[23] https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Acipimox
[24] Makimura H, Stanley TL, Suresh C, et al.Metabolic effects of long-term reduction in freefatty acids with acipimox in obesity: a randomizedtrial.J Clin Endocrinol Metab. 2016;101(3):1123-1133
[25] Hall, Kevin D., et al. „Calorie for calorie, dietary fat restriction results in more body fat loss than carbohydrate restriction in people with obesity.“ Cell metabolism 22.3 (2015): 427-436
[26] Hall, Kevin D., and Juen Guo. „Obesity energetics: body weight regulation and the effects of diet composition.“ Gastroenterology 152.7 (2017): 1718-1727.
[27] Surwit, Richard S., et al. „Metabolic and behavioral effects of a high-sucrose diet during weight loss.“ The American journal of clinical nutrition 65.4 (1997): 908-915.
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